Anton und Ike – Bienen, Wassermelonen & Freimaurer

Gerade biegen Mathis, Mani und ich, Ole, wieder auf die Hauptstraße, welche uns an diesem heißen Sommertag nach wenigen Kilometern zur Höhlenburg Predejama in Slowenien führen soll. Dieselbe Straße, die wir gestern noch hinter uns ließen. Auf der Suche nach einem See, der laut Karte nicht allzu weit weg sein sollte. Ein See, den wir nie fanden oder um es in Antons Worten zu sagen: „There has never been a lake around here. At least since I am alive“.

Wir trafen Anton kurz nachdem wir die teils ärmlich wirkenden Häuser unweit der Hauptstraße hinter uns ließen. Links und rechts karge Felder, deren Staubwolken über die Straße zogen, auf der wir uns fragend umblickten. Ihren Mantel aus Asphalt hatte sie nunmehr zur Gänze abgelegt. Lediglich ein dürrer Feldweg erstreckte sich vor uns. Unschlüssig darüber, ob wir lediglich falsch abgebogen waren, näherte sich langsam ein in Schrittgeschwindigkeit fahrender, stotternder, roter Traktor. Rein optisch ein Relikt vergangener Jahrzehnte. Darauf sitzend ein mit Strohhut und Camouflage-Hose bekleideter Mann, der um die 60 schien. Und als wir ihn um Rat baten, gab er uns eben jene Antwort: „There has never been a lake around here. At least since I am alive“. 

Wir sprachen miteinander und in der Zwischenzeit gesellte sich sein Hund zu uns. Ike, wie er ihn uns vorstellte. Benannt nach dem US-amerikanischen Präsidenten Dwight David Eisenhower, der, wie Anton uns aufklärte, den Spitznamen Ike trug. Und obwohl Ike mit seiner Größe als Jack Russel Mix vermutlich auf ewig dazu verdammt ist, im Schatten seines Namensgebers zu stehen, ließ er es sich nicht nehmen, einer Galionsfigur ähnelnd, den Weg durch die staubigen Wogen der Feldwege zu ebnen.
Unschlüssig darüber, was unsere nächsten Schritte sein sollten, fragten wir Anton, ob es hier denn zumindest einen Platz gäbe, an dem wir schwimmen gehen könnten. Er nickte kurz und gab uns zu verstehen, ihm, seinem roten Traktor und Ike zu folgen. Kurz darauf fanden wir uns auf einer Anhöhe wieder, von der aus wir die umliegenden Felder überblicken konnten – tatsächlich kein See. Aber ein Fluss schlängle sich hier durch, versicherte uns Anton und während wir nunmehr nur ihm und Ike folgten, während sein roter Traktor oben auf seine Rückkehr wartete, erzählte er uns von sich. 

Er sei LKW-Fahrer gewesen und fuhr früher durch ganz Europa, spreche daher auch noch etwas Deutsch. Der Fluss entpuppte sich als weniger ansprechend, wie Anton zunächst versprach und das obwohl er uns bereits die besten Badestellen gezeigt hätte, versicherte er uns. Wir fanden Gefallen an dem Mann, der uns bereitwillig seine Lebensgeschichte offenbarte und uns schlussendlich einlud, sein selbstbewirtschaftetes Feld anzuschauen. Er schwärmte von seinen Erfindungen, mit denen er unteranderem Wassermelonen züchte. 
Das unter der drückendenden Hitze leidende Erdreich zerbarst unter meinen Füßen, während meine Flipflops, wie aus Weiden geformte Teppichklopfer immer wieder auf den staubigen Boden schlugen. Selbst seine Bienenstöcke verheimlichte uns Anton nicht. Seinen Worten lauschend, sei es wohl gar nicht so leicht, in dieser Gegend Bienen zu halten. Die meiste Zeit des Jahres sei es viel zu kalt und die wenigen warmen Monate reichen kaum, um das Volk mit süßem Nektar zu versorgen. Er jedoch habe seit Jahren das Gefühl, dass die Völker, welche die Öffnung ihrer hölzernen Wohnsitze nach Süden ausgerichtet haben, eher überleben würden. Eine Theorie, welche er in den nächsten Jahren genauer hinterfragen werde, versicherte er uns. „I even made some Youtube-videos about how to build a house for bees. My doughter helped me doing so!“, entgegnete er uns. Zumindest damit behielt er Recht, wie wir später auf dem Sofa sitzend feststellten, während wir uns einen, in Tracht gekleideten Anton ansahen, wie er uns nun zum zweiten Mal erklärte, worauf es beim Bau eines Bienenhauses ankäme.

Wir fragten ihn unterdessen, ob es ein Problem sei, wenn wir für eine Nacht auf der Anhöhe blieben. „No problem“, entgegnete er knapp und so halfen wir ihm noch, einen Stapel Brennholz auf seinen roten Traktor zu laden, bevor wir Richtung Van und sein roter Traktor stotternd Richtung Hauptstraße aufbrachen. 

Den restlichen Tag verbrachten wir am Fluss. Wir endeten an einem alten Wehr: Mani lesend, Mathis Ruderboot fahrend und ich fischend. Wie uns Anton am nächsten Tag noch erklären sollte, war dies, als Jugoslawien noch ein Vielvölkerstaat war ein altes Sägewerk. Ein Sägewerk, dem jedoch die Vielvölkerei zu viel wurde. Dem man es letzten Endes gar untersagte, seine Zähne in Holz zu schlagen. Auch wenn hier schon lange nicht mehr der Geruch frisch zerbissenen Holzes in der Luft lag, konnte ich mir gut vorstellen, wie dieser idyllische Ort mit seinen Obstbäumen im Garten einst im Frühjahr zu blühen vermochte. 

Bevor wir am nächsten Morgen unsere Tour fortsetzten, begegneten wir Anton, Ike und seinem roten Traktor ein zweites Mal. Er gesellte sich zu uns, signalisierte, ein Blatt Papier und ein Stift zu holen. Er hätte uns etwas zu erzählen, von dem er sich sicher sei, es richte in den falschen Händen großen Schaden an. Verwundert blickten wir uns an, ließen ihn gewähren und uns überraschen. Ohne zuvor die Themen erwähnt zu haben, nannte er uns Namen und fragte Fragen. Auf unsere Antworten antwortete er kaum.

Er: „Do you know Benjamin Freedman?“
Wir: “No.”
Er: “Do you know Albert Pike?”
Wir: “No.”
Er: “Do you know Alberto Rivierra?”
Wir: “No.”
Er: “Have you ever heard of Die Solidarität?”
Wir: “No.”
Er: “But have you ever heard of the Kopp Verlag!”
Wir: “No.”
Er: “{…} Merkel is probably the daughter or a distant relative of Adolf Hitler.”
Wir: “Ähm, ok?”

Hätte ich dieses Gespräch aufgezeichnet, sehe es wohl nicht viel anders aus. Spätestens beim letzten Satz waren wir uns einig: Unser Bild, welches wir bis dahin von Anton hatten, sollten wir wohl noch einmal überdenken. Und hätten wir parallel googeln können, wäre uns sicher aufgefallen, dass uns Anton gerade das Who is Who aus Verschwörungstheoretikerkreisen in unser Notizheft schrieb. Wir unterhielten uns noch eine Weile und stellten gemeinsam fest, dass die Erde eine Scheibe sein müsse. Zu vielen seiner Themen fehlte uns nötiges Fachwissen schien es, weshalb wir recht schnell von Thema zu Thema sprangen. Sein Wissen traf auf unsere Unwissenheit. Wir wussten wenig zu entgegnen und so wie der dürre Boden an diesem Tag kommentarlos Wasser aufgenommen hätte, um neues Leben hervorzubringen, blickten wir uns kommentarlos an und sogen Wissen auf, um, so wünschte er es sich vielleicht, zukünftiger Nährboden späterer Generation zu sein.

Wie ein Vater, der seinen Söhnen mit Nachdruck Ratschläge mit auf den Weg geben wollte, bevor diese in die Welt hinausritten, kam uns Anton vor, während er unseren Notizblock füllte. Und nachdem er uns die Welt erklärte, sollten wir ihm folgen. 

Die Staubwolken des Vortags durchquerten wir ein zweites Mal. Folgten ihm, Ike und dem roten Traktor bis zu seinem Haus kurz vor besagter Hauptstraße, der wir gestern noch den Rücken kehrten, um einen See zu finden. Neben unserem Wissensvorrat bot uns Anton nun an, unsere Wasservorräte aufzufüllen. Wir lehnten ab. Und dennoch ließ er es sich nicht nehmen, seinen Jüngern neben den Weisheiten des Lebens nun noch etwas aus seinem Garten mit auf den Weg zu geben. Ein Einwegglas fermentierten Gemüses fand seinen Weg in den Schrank unseres Vans, welcher sich nun wieder schaukelnd zur Hauptstraße hinaufkämpfte. Im Rückspiegel Anton mit Strohhut und Camouflage-Hose, während ein Hund namens Ike, nach einem großen US-Präsidenten benannt, triumphierend dreinblickt und ein stotternder, roter Traktor, nun des Stotterns entsagt, ruhig in der Einfahrt standen.

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